Manchmal kommt es anders als man denkt. Eigentlich sollte ich die Zeit vom 11.-20. September im Solent mal wieder mit Ausbildungstörns verbringen. Am Freitag komme ich dann auch gegen Mittag in Southampton an und übernehme mein Schiff, die Phoenix of Broadway, eine Sadler 34. Da ich Phoenix schon gut kenne geht das alles fix. Alles ist da wo es sein soll, und alles funktioniert. Der erste Kurs wird von Freitag nachmittag bis Sonntag nachmittag laufen, mit zwei Schülerinnen die das Ziel Competent Crew anstreben.
Dann erfahre ich allerdings, dass es mit weiteren Kursen für den Rest der Zeit nicht so gut aussieht, die Schüler haben leider kurzfristig abgesagt. Was nun? Da meint James, der Leiter der Schule, dass er angesprochen wurde weil ein vierter Mann für einen mehrtägigen Überführungstörn gebraucht würde, Start Sonntag abend ab Portsmouth. Skipper und Ansprechpartner ist Chris, auch ab und zu als Ausbilder für Southern Sailing unterwegs. Ich telefoniere kurz mit Chris und sage schnellentschlossen zu. Um was für ein Boot genau es geht, ist mir zu dem Zeitpunkt nicht wirklich klar. „She is a 96 Feet gaff rigged Ketch, but she sails like a larger dinghy“ sind Chris’s Worte. Das Schiff muss spätestens nächsten Freitag in Blyth sein. Rund 400 Meilen, das scheint gut machbar. SW-Winde sind angesagt, zwar stark, aber mit 96 Fuss und entsprechender Crew sollte das ja kein Problem sein.
Der Wochenendkurs geht dann schnell vorbei. Am Freitagabend legen wir nach der Sicherheitseinweisung sofort ab und machen eine Nachtfahrt durch die Southampton Waters
mit Ansteuerung des Hamble Rivers, wo wir dann auch übernachten. Es ist die erste Nachtfahrt für meine beiden Schülerinnen. Sie finden es sehr aufregend mal im Dunkeln auf dem Wasser zu sein, Tonnen, Verkehr und Leuchtfeuer mal in der Realität zu erleben. Samstag geht es dann nach frühem Ablegen und einigen Hafenmanövern raus in den Solent, wir üben Segelmanöver bei guten 20 bis 25 Knoten. Das ist schon ganz anspruchsvoll für die beiden Mädels, Paula und Valerie. Aber sie schlagen sich tapfer. Zum späten Nachmittag landen wir in East Cowes auf der Isle of Wight. Wir üben noch etwas Boat Handling, An- und Ablegen, und fahren dann den River Medina hinauf zum Folly Inn, ein bekannter Pub auf der Insel und einer meiner Lieblingsplätze. Wir legen am Midriver-Pontoon an und setzen nach dem Dinner im Salon mit dem Folly-Berthing-Master über zum Pub, wo wir dann auch ausgiebig die Duschen geniessen sowie ein Feierabend-Pint für den bislang gelungenen Wochenend-Törn. Die ersten Gäste tanzen schon auf den Tischen, aber es zieht uns schnell zurück aufs Boot, es war ein anstrengender Tag. Sonntag morgens legen wir um 08.30 Uhr ab und segeln zurück über den Solent nach Southampton, immer wieder von diversen Übungen unterbrochen. Am Nachmittag legen wir wieder an der Ausgangsbasis im River Itchen an. Schnell wird das Boot gereinigt, ich fülle die Logbücher der beiden aus, und schon geht es ab nach Portsmouth, die Jungs warten ja schon. James fährt mich rüber.
Als wir ankommen, sehe ich zum ersten Mal um welches Schiff es geht und bin einigermassen perplex. Die Maybe ist tatsächlich 96 Fuss, aber ein traditionelles Tallship von 1923, ein Traum von einem Schiff:
Und das wollen wir nur zu viert segeln?
Schnell lerne ich die anderen Jungs kennen: Mark kommt aus der Nähe von Newcastle upon Tyne, und freut sich auf Blyth weil er dann mal nach Hause kommt und die Maybe für ein paar Tage verlassen wird. Josh ist waschechter Ire, stammt aus der Nähe von Belfast, und macht auch einen sehr netten Eindruck. Kurz darauf kommt Skipper Chris, ein Schotte wie er im Buche steht. Wir verstehen uns alle auf Anhieb, Mark zeigt mir kurz das Schiff und dann mache ich mich nützlich. Segel werden repariert, ich nehme mir nach Mark’s Anweisung eine Stelle am Groß vor. Hier mein Ergebnis:
Wir werden heute abend aufgrund der angekündigten 8 – 9 Windstärken allerdings nicht mehr auslaufen, um 04.00 Uhr morgen früh soll es losgehen. Josh, Mark und ich entscheiden uns für ein Abendessen im Pub, Chris bleibt an Bord und schläft ein bißchen vor. Scheinbar waren die drei gestern abend etwas länger unterwegs, und die Recovery-Phase bei Chris dauert noch an.
Am nächsten Morgen bin ich um 04.00 Uhr abfahrbereit aber draussen kachelt es. Wir verschieben um 12 Stunden, eigentlich soll das Wetter besser werden. Es geht also nochmal in die Koje für ein paar Stunden, etwas mehr Schlaf kann ja nicht schaden, zumal sich unser Abendessen durch ein bis zwei Pint bis ca. 23 Uhr verlängert hat.
Nach dem Aufstehen, gegen 09.00 stehe ich mit Mark an Deck. Wir betrachten unseren Nachbarlieger, ein anderes Tallship, die H.M.S. Pickle. Die Jungs kommen auf einen Plausch auf den Steg und dann lädt uns Mal, der Eigner, ein, die Pickle anzusehen. Ebenfalls ein tolles Schiff und sehr eng mit Nelson und Trafalgar verbunden. Die Pickle ist eine Replica der ehemaligen Sting, die einzige die noch existiert. Mal hat sie in Spanien vor dem Verfall gerettet, mit grossem Aufwand restaurieren lassen und ist jetzt wieder damit in England angekommen. Das Medien-Interesse an Pickle ist recht groß, Fotografen, Rundfunk und Fernsehinterviews sind in den nächsten Tagen für Pickle und seinen Besitzer sowie die Crew angesetzt.
Am Nachmittag sieht das Wetter nicht besser aus. Es scheint auch nicht mehr besser sondern eher schlechter zu werden. Was tun? Wir sitzen zusammen im grossen Salon und Chris holt unsere Meinung ein. Er macht das gut. Ich frage ihn, was er von der Sache hält. Er grinst und sagt: „There’s only two types of sailors, pessimistic ones and dead ones.“ Es sind immer noch gute 8 bis 9 vorhergesagt, aber über Nacht soll das gröbste abziehen, deshalb wird entschieden: morgen früh um 5 soll es so sein und wir legen ab. Mark, Josh und ich gehen noch etwas Proviant einkaufen, dann machen wir uns auf zu einem Abschiedspint und Fish and Chips im nahegelegenen Pub.
Am nächsten Morgen geht es für mich früh aus der Koje und rein ins Ölzeug denn draussen geht grade die Welt unter. So what, wir gehen raus. Wenn es zu schlimm sein sollte, fahren wir halt wieder rein. Gute 30 Knoten im Hafen, es giesst in Strömen. Aber wir machen alles klar und gehen raus. Draussen sind wir erst mal noch in der Abdeckung der Isle of Wight, es bläst mit strammen 40 – 45 Knoten, teilweise auch etwas mehr in Böen. 48 war der höchste Wert, den ich auf dem Windmesser gesehen habe. Das Boot rollt stark hin und her, aber es steckt alles gut weg. Wir auch. Irgendwann wird es besser werden denken wir, und wir fahren weiter.
Vorher wird es aber erstmal schlechter. Im freieren See-Raum, nach gut einer Stunde kommen die ersten größeren Wellen auf, gute 4 bis 5 Meter Seegang, ab und an auch eine höhere Welle, begleiten uns in den nächsten Stunden. Das strengt an, auch auf einem so großen Schiff. Natürlich wird alles manuell gemacht, es gibt keinen Autopilot, elektrische Winschen oder ähnliches. Vor allem das Kurshalten ist nicht so einfach wenn die Wellen und Wind entsprechend auf das Boot einwirken.
Wir starten unser Wachsystem um 08.00 Uhr morgens in 4 Stunden Schichten: Josh und ich machen die erste Schicht, dann folgen Mark und Chris. So wird es die nächsten Tage weitergehen, bis wir in Blyth ankommen. Der SW-Wind und die Tide bringen uns gut voran, nach den ersten 24 Stunden haben wir rund 170 Meilen im Kielwasser. Ist zwar immer noch saumässig anstrengend, aber es macht auch Spass. Der zweite Tag ist weiterhin von Starkwind geprägt, 6 bis 7 sind Standard, teilweise 8. Unangenehm wird es immer dann, wenn Tide und Wind gegeneinander laufen bzw. wenn die Tide kippt. Dann kabbeln sich die Kreuzseen um das Boot und ich mache die Erfahrung, dass auch 96 Fuss sich feststampfen können.
Josh ist auch gleichzeitig unser Koch, d.h. dass ich in aller Regel die Wachen von 16.00 – 20.00 Uhr zum großen Teil alleine mit Steuern und Navigation verbringe, während er einen großen Pott Eintopf für uns alle vorbereitet. Er macht das richtig gut, so haben wir immer eine warme Mahlzeit parat, die wir bei dem Wetter auch gut brauchen können.
Das Schlafen zwischen den einzelnen Wachen gestaltet sich auch nicht ganz so einfach, das Rollen des Schiffes stört schon sehr. Jede Bewegung an und unter Deck ist kräftezehrend. Der Verkehr im englischen Kanal, und entlang der Küste nach Norden ist auch nicht zu verachten. Man muss immer wachsam sein. Das aktive AIS hilft dabei schon ungemein, die Übersicht zu behalten. So vergeht die Zeit im 4 Stunden Wachrhytmus. Erst am Donnerstag abend beruhigt sich das Wetter, wir fahren gemütlich in die letzte Nacht. Es wird eine entspannende restliche Fahrt. Meine letzte Wache mit Josh von 00.00 bis 04.00 verläuft ganzt unspektakulär. Danach geht es in die Koje aber gegen 07.00 Uhr klopft Chris an die Tür: „Can you get up Matey, we are approaching Blyth and need all hands on deck to berth the boat“. Gesagt getan, ich stehe auf, springe ein letztes Mal in Stiefel und Ölzeug und kurz drauf liegen wir fest in Blyth. Das Schiff muss jetzt auf Vordermann gebracht werden, sauber und aufgeräumt an und unter Deck denn in einer halben Stunde erwarten wir Steve, den Eigner der Maybe. Nach Steve’s Ankunft putzen wir Maybe noch weiter heraus und flaggen sie über die Toppen. Um 11.00 Uhr soll es zu
einer Rundfahrt im Hafen mit der lokalen Politprominenz gehen.
Kurz vorher gehen Mark und ich aber von Bord. Wir machen uns auf den Weg ins nahegelegene Newcastle, von dort nehme ich den Zug nach Southampton und Mark fährt nach Hause zu seiner Familie.
Im Zug lasse ich alles noch mal Revue passieren. Es war ein toller Törn, anstrengend aber auch schön. Ich bin sicher ich sehe die Jungs irgendwann mal wieder, und natürlich auch die Maybe. Und wie ich da so im Zug sitze fällt mir zur Maybe auf einmal ein Lied ein, das mich als Kind schon immer fasziniert hat. Damals lief die Serie Grizzly Adams im Fernsehen. Die Lyrics zum Grizzly Adams Song passen (etwas angepasst) auch prima auf die Maybe und unsere Welt unter Segeln:
„Deep inside the forest
“Sailing on the oceans is a door into another land, Here is our life and home,
We are staying, here forever in the beauty of this place all alone,
We keep on hoping…
Maybe, there’s a world where we won’t have to run, and
Maybe, there’s a time we’ll call our own,
Living free in harmony and majesty,
Take me home, Take me home.”
Thank you and take care, Chris, Josh, Mark and Maybe!