Weihnacht zur See |
Weihnacht war es auf tosender See. Haushohe Wellen an Luv und an Lee. Am Ruder stand Jürgens Claus, Sah bald auf den Kompass und bald voraus. Die eisernen Speichen lenkte er fest Und führte verwegen Durch Sturm und Regen Das ächzende Schiff nach West-Nord-West. Wuchtige Seen mit schäumender Gischt Fegten das Deck, Doch er wich nicht vom Fleck, Er rührte sich nicht, Ob auch vom Südwester übers Gesicht, Ob von der Stirn in den struppigen Bart Das salzige, eisige Wasser ihm rann. - So etwas bleibt keinem Seemann erspart. Jürgens Claus stand seinen Mann. - - West-Nord-West lag an. Und er sah auf den Kompass, vom Wetter umtost, Wehrte behände dem tückischen Schwanken Der kleinen Nadel. Doch in Gedanken Flog er gen Ost-Süd-Ost, Flog in ein fernes Fischerhaus. Dort war er daheim, Jürgens Claus. Es war ein armer, Doch traulich warmer Und freundlicher Raum. Die Kuckucksuhr war eben verklungen. Still malte der Feuerschein an den Wänden. Im Lehnstuhl unter dem Weihnachtsbaum Saß Mutter und hielt wie im Traum In ihren alten, zitternden Händen Den letzten Brief von ihrem Jungen. - Er wusste, er war ja ihr einziges Glück. - - 'Was ist der Kurs?' erklang es von oben. 'Recht West-Nord-West!' gab Claus zurück. Die eisernen Speichen lenkte er fest Und führte voll Kraft und kühnem Mut Das ächzende Schiff gen West-Nord-West. Claus Jürgens stand seinen Mann. War es wohl salzige Meeresflut, Was heiß ihm über die Wangen rann ? |
Joachim Ringelnatz |
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