Segelkameradschaft Unterbacher See e.V., Düsseldorf
   
    Bericht: 
    Yachtmaster-Ausbildung in England  
    von  und  mit  Wolfgang  Seul      
 

 

Es ist Sonntag, der 27.03.2011, kurz nach 6.00 Uhr morgens. Ich sitze auf der Fähre von Dunkerque nach Dover und freue mich auf die bevorstehenden 2 Wochen. Es geht in den Solent zur Vorbereitung auf die Yachtmaster Offshore Prüfung.
 
In den letzten Wochen habe ich mich intensiv in der Theorie vorbereitet. Ob es ausreicht wird sich in den nächsten Tagen zeigen. Die RYA (Royal Yachting Association) stellt hohe Anforderungen an die Kandidaten die Yachtmaster werden wollen. Sowohl in der Theorie, als auch bei der Umsetzung in die Praxis.
 

 
Am späten Vormittag treffe ich in Southampton ein, kaufe ein paar Sandwiches zum Mittagessen und sonstigen Proviant für die Woche. Um 16 Uhr geht es dann endlich los. James, Principal der Southern Sailing School, teilt uns auf die Boote ein. Es gibt verschiedene Kurse, von Competent Crew (Einsteiger) bis zum Yachtmaster Offshore. Ich werde die nächsten beiden Wochen auf „Ice Dancer“ verbringen, einer Sadler 34. Es ist Handarbeit gefragt: die 34 Fuss wollen mit der Pinne gesteuert werden, selbstholende Winschen gibt es nicht, ebenso wenig eine Roll-Fock. Auch der Anker muss per Muskelkraft bedient werden.
 
Meine Mitsegler in der ersten Woche sind Ivan, Stephane und Nick. Ivan und Stephane wollen bereits Ende der Woche zur YM Prüfung antreten, bei mir steht am Samstag zunächst ein Erste Hilfe Kurs der RYA auf dem Programm, ohne diesen gibt es keine Zulassung zur Prüfung.
 

 

 
Nach Sicherheitseinweisung durch Clive, unseren Instructor für diese Woche, geht es auch schon los. Nick muss die erste Passage skippern. Dann folgen Ivan und Stephan die in der Dunkelheit jeweils eine unbeleuchtete Tonne/Spiere im Solent finden müssen. Zum Abschluss des Tages muss ich das Schiff nach Cowes bringen. Nach eingehendem Studium der Seekarten und des Gezeitenatlas sowie der Berechnung der Höhe der Gezeit von Cowes teile ich die Crew ein und wir machen uns auf den Weg. Es wird terrestrisch navigiert, anhand von Tonnen, Peilungen, Transits, Tiefenlinien.

Ohne GPS.
„Yachmaster brauchen kein GPS!“ grinst Clive mich an. Die Ansteuerung funktioniert wie geplant. Der Verkehr an Fähren und Berufsschiffen hält uns auf Trab. Gegen Mitternacht lege ich die „Ice Dancer“ an den Steg in eine Lücke zwischen zwei anderen Yachten. Erste Hürde genommen. Das hat für den Anfang sehr gut funktioniert und gibt Auftrieb für die kommenden Tage.

Clive hat immer wieder neue Aufgaben für uns. Jeder muss eigenverantwortlich diverse Passagen skippern, MoB-Manöver fahren bzw. unter Segel an- und ablegen am Steg bzw. an Mooring-Bojen oder ankern. Wir haben teilweise bis zu 7 Beaufort Wind. Hinzu kommt die Strömung die durchaus schon mal 3 bis 4 Knoten erreichen kann. Da ist das Anlegen und Ablegen unter Segeln nicht immer so einfach. Mit der Zeit werden aber alle immer sicherer und nutzen Wind und vor allem Strömung gezielt um „Ice Dancer“ in eine Lücke oder an eine Boje driften zu lassen. Ferry-gliding nennen das die Engländer.
 

  Kardinaltonne westlich der Bramble Bank
 

 
Bei strahlendem Sonnenschein skippere ich eine Passage in den Ost Solent als Clive plötzlich meint: „Es kommt Nebel auf, in 5 Minuten haben wir nur noch 50 Meter Sicht.“ Für mich heisst das jetzt aktuelle Position schnellstmöglich feststellen und runter an den Kartentisch, ich muss das Schiff jetzt per Blindnavigation zu meinem Ziel bringen. Clive möchte, dass ich den Eingang zum Power Station Creek finde. Anhand der Höhe der Gezeit bestimme ich die Tiefenlinien, berechne die Strömung und den zu steuernden Kurses und gebe meine Anweisungen an die Crew, wohin genau „Ice Dancer“ zu segeln ist. Genaues Mitkoppeln ist nötig um den Überblick zu behalten.

Als Zwischenziele setze ich einige Tonnen entlang der 5 Meter Tiefenlinie, die Crew findet anhand meiner Angaben alle auf den Punkt genau. Nach gut 4 Meilen habe ich mein Ziel erreicht und lande exakt dort, wo ich hin sollte. Ein schönes Erfolgserlebnis, wenn man wieder hoch an Deck darf und sein Ziel eine Bootslänge voraus sieht. Wie war das noch? „Yachtmaster brauchen kein GPS!“

Wir segeln jeden Tag zwischen 12 und 16 Stunden, immer wieder stehen Nachtfahrten auf dem Programm und zwischendurch wird immer wieder Theorie abgefragt: Lichterführung, Meteorologie, Passagenplanung, Kollisionsverhütungsregeln. Clive ist ein erfahrener Hochsee-Regatta-Segler, hat unter anderem am Fastnet-Race erfolgreich teilgenommen und lässt uns an seinem reichhaltigen Erfahrungsschatz teilhaben. So vergeht die erste Woche wie im Flug, mit wenig Schlaf, aber vielen Erfolgserlebnissen.
 

warten die Retter schon auf uns ?  

 
Am Samstag geht es dann in den Erste Hilfe Kurs. Erste Hilfe Techniken im Allgemeinen und auf See stehen auf dem Programm: wie versorgt man einen Beinbruch, Schädelverletzungen, Hautabschürfungen und wie birgt man jemanden, der über Bord gegangen ist. Auch Herz-Lungen-Wiederbelebung unter widrigen Umständen auf See wird besprochen und geübt. Das Abbergen mit Helikopter-Unterstützung wird durchgegangen. Die Theorie wird immer mit praktischen Übungen aufgelockert. Sehr lehrreiche Stunden, allerdings hoffe ich dann doch, dass ich es niemals mit einem größeren Notfall an Bord zu tun bekommen werde.
 
Am Sonntag trifft sich die neue Crew. Diesmal segele ich mit Dean, Barry und John. Dean und Barry möchten mit mir zusammen am Wochenende die Prüfung machen. John ist bereits Yachtmaster und will jetzt Yachtmaster-Instructor werden. Er soll bei Simon, unserem Instructor für diese Woche, entsprechend lernen. Simon ist ein ganz anderer Typ als Clive, Anfang 30, stammt aus Venezuela und hat sein halbes Leben auf Segelschiffen verbracht. Er nimmt uns sofort alle hart ran, wieder geht es los mit einer Nachtfahrt in der verschiedene Passagen zu skippern sind. Wir erwarten für Anfang der Woche Starkwind, so geht es montags bei 6-7 Beaufort nach Portsmouth. Unterwegs fliegt eine Winschkurbel ins Wasser. Simon zu Dean am Ruder: „Du willst doch Yachtmaster werden. Winschkurbel über Bord, bring sie zurück, die schwimmt.“ Dean fährt ein WoB Manöver und im zweiten Anlauf fischen wir die Kurbel aus dem Wasser.
 

Grossschiffahrt in der Precautionary Area zwischen Southampton und der Isle of Wight  

 
Am nächsten Tag bläst es mit 7 bis 8. Ich habe keine Lust aufzustehen. Simon muss das bemerkt haben denn ich bekomme die ehrenwerte Aufgabe, die erste Passage des Tages zu skippern. Raus aus Portsmouth und dann soll ich ein Wrack finden, östlich der Isle of Wight. „Bringe das Schiff genau zu diesem Wrack und sage mir, wenn Du den Punkt erreicht hast!“. O.k., dann erstmal Anweisung an die Crew, wir setzen eine Arbeitsfock und 3 Reffs ins Gross innerhalb des Hafens. Dann geht es raus. „Ice Dancer“ pflügt durch die Wellen und wir nähern uns mit der Zeit dem Punkt wo irgendwo mein Wrack versunken auf dem Grund liegt. Der Strom setzt stark, wir haben Wind gegen Strom und entsprechende Wellen. Es ist ungemütlich. Mit zwei Peilungen, einem Transit und anhand des Echolots finde ich das Wrack im zweiten Anlauf. Simon kontrolliert mit seinem Hand-GPS und ist zufrieden. Jetzt muss ich das Schiff nur noch zum nächsten Hafen bringen. Bei dem aktuellen Wind und Wetter ein nasses Vergnügen, wir müssen aufkreuzen. Aber alles funktioniert ohne größere Probleme, Simon registriert, dass wir alle auch dem etwas härteren Wetter stand halten.
 
Weiter geht es Tag für Tag mit immer schwierigeren Passagen, die detaillierte Gezeiten-Berechnungen erfordern und immer wieder neuen Übungen zum Boot-Handling unter Segel und Motor. Es wird erwartet, dass man bei Passagen den effektivsten Weg unter Berücksichtigung von Wind und Gezeit wählt. „Yachtmaster kürzen ab und segeln auch über Flachs“, so Simon mehrfach zu uns, wenn wir für seinen Geschmack vielleicht doch ein wenig zu vorsichtig unsere Passagenplanungen angehen.
 

  Ansteuerung

 
Der Freitag naht und damit unsere Prüfung. John und Simon verlassen uns gegen Mittag. Dean, Barry und ich fahren die Prüfung alleine mit dem Prüfer an Bord. Die RYA verfolgt hier ein ganz anderes Konzept als bei der deutschen Ausbildung. Es geht in erster Linie darum, die Fähigkeiten als Schiffsführer zu prüfen. Jeder Prüfling wird 8 bis 12 Stunden unter die Lupe genommen. Auch wenn man nicht der verantwortliche Skipper ist, steht man trotzdem unter Beobachtung z.B. beim Rudergehen, Segeltrimmen, bei der Leinenarbeit.
 
Less, unser Prüfer, kommt kurz vor 15.00 Uhr an Bord. Er verteilt die Aufgaben für den ersten Tag: ich habe die Passage von Southampton quer über den Solent nach Cowes. Das ist nicht ohne. Cowes kenne ich zwar mittlerweile, aber ich muss bei Niedrig-Wasser schnellstmöglich dorthin, d.h. genau rechnen. Der Strom beginnt westwärts zu setzen. Deshalb müssen wir die Bramble Bank an Steuerbord lassen, gleichzeitig aber möglichst nicht mitten im Solent auf Grund laufen und natürlich nicht der Berufsschiffahrt in die Quere kommen. Safety- und Crew-Briefing und los gehts. Wir alle meistern unsere Passagen ohne Probleme und liegen um 00.30 Uhr fest im Beaulieu-River an einer Boje. Barry hat uns hier hin gebracht, eine schwierige Nachtansteuerung denn die Spieren die das Fahrwasser begrenzen sind nicht beleuchtet. Kurzes Abendessen, dann in die Koje.
 


    die Prüfungs-Crew  

 
Die Nacht ist kurz, nach nur 5 Stunden Schlaf brechen wir wieder auf. Dean und ich müssen jeweils eine Blindnavigation machen. Mein Teil beinhaltet eine Querung der Hauptschifffahrts-Strasse nach Southampton, mit der erhöhten Schwierigkeit, dass ich links und rechts vom Fahrwasser zwei Terminals für Grossschiffe habe, von denen wir uns unbedingt freihalten müssen. Es funktioniert jedoch alles Bestens, ich erreiche mein Ziel wie geplant. „Well done!“ kommt es von Les, er ist offenbar bis jetzt zufrieden.
 
Der Wind hat in der Zwischenzeit auf 4-5 aufgefrischt, Segelmanöver stehen auf dem Programm. Mehrfach an Bojen unter Segel an und ablegen und jeder muss ein MoB-Manöver fahren. Bei mir fliegt der Fender mitten im Fahrwasser raus, das wir gerade erneut queren wollen. Zur rechten habe ich einen grossen Tanker, zur linken ein kleineres Arbeitsschiff. Ich drehe bei, lasse das Vorsegel runternehmen und ordere „Maschine an!“ um das Manöver unter Motor zu fahren. Less lässt mich wissen: „Tut mir wirklich leid, aber Deine Maschine springt nicht an!“ Nun gut, ich fahre eine Halse um mich vom Verkehr frei zu halten, anschliessend eine Wende und kriege den Fender in Lee. „Ice Dancer“ steht im Wasser und Barry fischt den Fender raus. „Et hätt noch emol jot jejange“ denke ich mir.
 
Der Rest des Tages vergeht mit weiteren Segelmanövern, Theoriefragen etc. Nach insgesamt 25 Stunden Prüfung sagt Les zu uns: „Gratulation! Ich bin sehr zufrieden mit Euch allen. Ihr könnt jetzt entspannt als Yachtmaster das Schiff zurück bringen!“ Wir klatschen uns ab und segeln zufrieden zurück, die harte Arbeit hat sich gelohnt. Zwei tolle Wochen gehen zu Ende. Ich habe unwahrscheinlich viel gelernt und tatsächlich die Prüfung zum Yachtmaster Offshore geschafft. Der Solent ist ein klasse Revier. Hier möchte ich nochmal hin. Und mein GPS lasse ich dann zuhause.

 
Abendstimmung im Beaulieu River  
 

 
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