SKU,   Segelkameradschaft Unterbacher See e.V.,  Duesseldorf
Törnbericht:    Unser Törn mit dem Plattbodenschiff Aagtje
 

 
28.04 - 01.05.2006
 
Harlingen
  - Texel
    - Terschelling 
      - Harlingen  
 

 
   
 
Aagtje unter Vollzeug
Aagtje unter voller Besegelung 

 
Törnbericht
von Reinhard Kindla 
Fotos von:  
Mechthild und Achim Rademächers

 
Unser Törn mit dem Plattbodenschiff Aagtje
Erfundene Wahrheiten über unseren Törn mit der Aagtje.

Aagtje ist ein 104 Jahre altes ehemaliges Frachtschiff, jetzt ein sehr hübscher Drei-Sterne-Zweimaster von 24 m Länge - 90 Tonnen 'Lebendgewicht' durchpflügen die Waddenzee. Die Skipper sind Diederik und Susanne, die Eigentümer der Aagtje.
Das Schiff kann über die Zeilvaart Enkhuizen gebucht werden.

Vorbesprechung für den Törn - muss ja sein, denn man will ja auch etwas essen.
Also: "Wie viel Bier nehmen wir denn mit?"
B. rechnet halblaut vor: "Wir sind 18 Personen und bleiben drei Tage, jeder trinkt ...
Also das wären ungefähr 75 Liter." - "Oh, so viel? Reicht das denn? - Kriegen wir das denn alles ins Auto? Und die anderen, die Weintrinker? - Ich habe noch 15 Liter Wein im Keller. - Und ich kann eine Flasche Rum beisteuern, die wird sonst bei mir zu Hause schlecht. - Sollen wir den das Bier nicht in Harlingen einkaufen? - Wie lange haben den die Geschäfte auf? - Ich habe nachgeschaut: Bis acht Uhr. - Prima! Ich bestellen ein Glas Nutella, aber ein großes."
"Halt! Halt! Nicht alle durcheinander!" S. hat Mühe, die Disziplin wieder herzustellen.
"Wir haben doch noch gar nicht die Kajüten verteilt. Ich sehe, dass da doch noch eine Dreibett-Koje nicht belegt ist. Also, wenn ihr mich fragen würdet: Ich hätte nichts dagegen, wenn da noch zwei Frauen..."
Der suchende Blick in die Runde hat allgemeines Gegiffel wie eine kühle Abfuhr zur Folge: "Mach dir mal keine Hoffnungen, die Kajüte belege ich mit meinen beiden Freundinnen - wenn sonst niemand etwas dagegen einzuwenden hat.
" Es hat sonst - leider - niemand etwas dagegen einzuwenden.
Und die anderen Kajüten werden in Windeseile belegt. Tagesordnungspunkt erledigt, also wieder zum Essen!
Die Meinungen schaukeln durcheinander wie die Wellen einer Kreuzsee; die Argumente prallen aufeinander wie Wellen an die Hafenmauer klatschen; die Sonne sinkt heute mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit hinter den Horizont, so schnell wird es heute dunkel.
In tiefschwarzer Nacht sind die Mitbring- und Einkaufslisten fertig, die Mitfahrgelegenheiten vereinbart und der Bier- und Spirituosenvorrat geregelt. "Es trinken die Matrosen von allen Spirituosen am liebsten RUM fallera - RUM fallera - Rum aus Jamai-ai-a-ka!"

Einschiffen
Peu-a-peu tröpfeln die Leichtmatrosen ein, und der Abend vergeht mit dem Bunkern von Tonnen von Lebensmitteln.
"Skipper, wie viel Zuladung verträgt das Schiff?"
"Macht euch mal keine Sorgen. Das ist ein 90-Tonnen-Schiff und war früher mal ein Gülletransporter, den konnte man bis zu den Bullaugen füllen."
"Iihh! - ÖÖÖh! Nee! Hier bleib ich nicht länger, ich glaube, ich riech schon was."
"Quatsch nicht rum, da hat sicher einer nur die Klotür offen gelassen." - Wieherndes Gelächter kommentiert diese Bemerkung. Und das vor dem ersten Glas Bier!
Am nächsten Morgen müssen drei leere Dosen Bier entsorgt werden; es sind aber keine Halbliterdosen...

Samstagmorgen
     -  auf nach Texel!

 
Windstärke 5 bis 6, also gleich im Hafen ein Reff einbinden. Was einer geübten Crew einer Yacht mit Einleinenreffvorrichtung in weniger als einer Minute gelingt, dauert heute mit traditionellem Bindereff gute 10 Minuten.

   Skipperin Susanne und Bordhund Kaspar Sicherheitseinweisung durch Skipperin Susanne  
und Bordhund Kaspar
 
 
alle Mann an's Großsegel
alle Mann an's Großsegel  

 
Auf halben Weg nach Oudeschild stehen überall entlaubte Bäume im Wasser - schön in Reih' und Glied.
"In Deutschland würden wir jetzt sagen: Waldsterben, hervorgerufen durch saures Wasser." versucht M. eine Erklärung.
Allgemeines Erstaunen ob soviel Weisheit.
"Aber wir sind nicht in Deutschland, also muss es einen anderen Grund geben." Auch wieder logisch.
"Ok, ich frag mal den Skipper." schlägt M. vor.
Gesagt - getan. M. kommt strahlend vom Ruderstand zurück. "Die Bäume sind gepflanzt worden, damit auch die Seehunde hier Bäume zum Pinkeln haben."
Wenn ich gelogen habe, dann sagt mir den wahren Grund. Wenn ich die Wahrheit gesagt habe: Warum lacht ihr?

"Wo gibt's denn hier in Oudeschild eine Fischbude für Kibbeling oder so etwas?"
"Hinterm Deich." klärt M. auf. "Direkt in Sichtweite."
Und die ganze Crew findet sich vor der Theke der Fischbude wieder. Eigentlich könnte man sich hier satt essen und das Abendessen sparen - aber da wir ja tonnenweise Lebensmittel gebunkert haben ... Die hätten fast bis in die Karibik gereicht.
Immer dieses Seemannsgarn zwischen den Tasten ... fürchterlich!

Es ist Königinnentag in den Niederlanden - Volksfest allerorten, also Bus kapern und ab nach Den Burg! Überall Rot-Weiß-Blau mit einer orangefarbenen Schärpe. Der Sänger auf dem Marktplatz hat sich sogar die Haare orange gefärbt und auch die Schuhe glänzen in dieser Festtagsfarbe und spiegeln die Sonne so schön wieder.

Zurück nach Oudeschild auf Schusters Rappen - schlappe fünf Kilometer. Was soll's? Kalorien ablaufen ist angesagt, denn heute Abend gibt es Nudeln mit ... Sahnesoße, einen riesigen Topf voll.

Vorbereitung des Abendessens am Samstag; Gurken müssen noch geschält werden.
"Eh, reich mir mal schnell das Schälmesser rüber!"
"Wie heißt das Zauberwort mit den zwei T?"
"FloTT!" kommt die zutreffende Antwort. - Ende des trauten Zwiegesprächs.
"Wie viel Fässer Bier haben wir eigentlich noch?" will S. wissen.
"Fässer haben wir keine mehr." kommt die prompte Antwort von A.
"Nein! Sag so was nicht! Was machen wir denn nun die ganze Zeit?"
"Wir haben noch etliche Liter Wein." versucht A. zu beruhigen. "Und eine Kiste Grolsch."
Allgemeines Aufatmen: "Dann ist der Törn ja noch nicht verdorben."

 
Vor dem Frühstück am Sonntag
 
"Was habt ihr denn gestern Abend mit D. gemacht?" bittet die besorgte Mitseglerin U. um Aufklärung.  "Hä? Wieso? Was'n los?"
"Ich krieg ihn einfach nicht wach."
"Fühl mal seinen Puls, vielleicht ist er ..." schlägt R. vor - und kriegt 'nen Stoß in die Rippen.
"Nicht nötig, er stöhnt leise vor sich hin."
"Na, dann ist ja alles in Ordnung." versuchen wir, sie zu beruhigen.
Während des angeregten Gesprächs im Salon soll dann aber doch der Verlauf des vergangenen Abends rekonstruiert werden, und da schleicht der so Umsorgte mit ganz kleinen Augen dem Kaffeeduft entgegen - unbemerkt von der sich sorgenden U.
"Schau doch mal..." macht R. sie aufmerksam, "... da ist er doch - oder ist er's nicht?"
"Wo denn - wo denn?" sucht sie den Salon ab.
"Nee, das ist er bestimmt nicht." erklärt M. die Lage. "Der D. sah gestern Abend noch ganz anders aus."

Von Oudeschild nach Terschelling

 
Der Wind hält sich mal wieder nicht an die Wettervorhersage. Weder Richtung noch Stärke stimmen, auch die Bewölkung ist anders - als angedroht: Knalliger Sonnenschein will uns den Seglertag versüßen. Am Horizont die herrlichsten Wolkenbänke, alle in Richtung Festland.
"Jetzt fehlt nur noch die Info, dat in Deutschland Schietwedder is." hofft P. "Ich ruf mal eben an." Beim Telefonieren hellt sich seine Miene sichtbar auf; wir können seine heimliche Schadenfreude deutlich sehen: "Graupelschauer und nicht mehr als 5 Grad - hihihi." Die Nachricht verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Unser Segeltag ist noch schöner! Wir segeln mit Vollzeug: Klüver, Fock, Gaffelgroß, Besan.
 

   Anschlagen des Klüvers
  Anschlagen des Klüvers 

 

Reinhard sonnt sich im Klüvernetz
Reinhard sonnt sich im Klüvernetz  
  

"Möchte jemand noch'n Stück vom Apfelkuchen?" - "Ja, sehr gern, danke - und mit 'nem Schlückchen Kaffee bitte." - "Bin ich dein Diener?" - "Ich weiß nicht - es schien so in letzten Tagen." Der Wind schläft weiter ein, der Himmel zieht sich zu, die Sonne verschwindet hinter Cirrostratus. "Wieso machen wir denn jetzt dauernd eine Wende?" will L. wissen. "Können wir denn nicht weiter geradeaus fahren?"

"Zu 1: Diederik meint, einigen wäre etwas kalt und sie bräuchten Bewegung.
 Zu 2: Geradeaus geht's auch, aber wir haben Terschelling als Ziel, und einfach geradeaus bedeutet, dass wir gnadenlos trocken fallen." Obwohl wir nur wenig Fahrt durchs Wasser machen, entfernen sich die Tonnen des Fahrwassers sehr schnell - dank der richtig berechneten Strömung. Wir kommen pünktlich auf Terschelling an.
 

Träge wie ein Jumbo zu steuern
Träge wie ein Jumbo zu steuern  

 
Beim Abwasch ist wie immer ein Gedränge wie beim Schlussverkauf vor dem Wühltisch: Jeder will ein Tellerchen oder ein Messerchen ergattern.
"Was meinst du..." frage ich D. "...sollten wir uns auch in die Schlacht am heißen Abwaschbüffet stürzen?"
"Also, wenn du mich so fragst..." antwortet er, "...besser nur dabei als mittendrin. Es scheint, als würden wir einigen nur den Spaß verderben. Wenn das Gedränge abflaut, bin ich dabei. Oder man könnte sich absprechen, wer was wann tun möchte." Und dann stößt er mit dem Bierglas an.

 
Der riesige Strand von Terschelling
Der riesige Strand von Terschelling  

 
Von Terschelling nach Harlingen
 
Das Schiff liegt so verdächtig unruhig im Hafen, und die Fallen schlagen wie verrückt.
"Seit ihr alle frisch?" Skipper Diederik lugt durch die Salontür. - "Alles frisch und munter!" schallt die Antwort zurück.
"Das wird sich heute aber schnell ändern." grinst er und gibt die meteorologischen Daten durch.
"Wohin müssen wir heute eigentlich?" - "Dorthin, woher der Wind kommt." - "Au, schei..."
Es hilft nichts: Das Frühstück wird um 15 Minuten verkürzt, damit wieder ein Reff eingebunden werden kann. Die Abfahrtszeit bleibt, sie wird vom Gezeitenstrom diktiert. Rettungswesten an!
Ich sitze im Salon und fühle mich sauwohl.

 
Viel Wind
Viel Wind  

 
"Wer will Tee?!!" rufe ich gegen den Wind.
Ein paar Tassen mit dem heißen Getränk finden den Weg nach oben. Das Trinken ist nicht so einfach, denn wer nicht aufpasst, dem bläst der Wind den Tee aus der Tasse.

Schräglage. Ein lautes Scheppern macht unmissverständlich deutlich, dass eine Türverriegelung dem Druck von innen nicht standgehalten hat. Kakaopulver, Lebensmittel und was weiß ich nicht noch alles verteilen sich auf dem Fußboden, diverse Schalen scheppern hinterher. Jetzt muss nur noch Milch hinterher, und 'fertig ist der Plantagentrank'.
"Schei..." Ok, jeder kennt das Wort, also noch einmal ganz laut: "Schei-ei-eiß-ße!" Es ist gar nicht so einfach, den Weg vom Sofa zur Küche zu finden. Das Oberlicht hat dem Spritzwasser keinen vollkommenen Widerstand entgegen gesetzt, also ist der Boden etwas feucht, und - schwupps! - ist das Sofa wieder Endstation. Zweieinhalb Meter auf dem Weg zur Küche sind umsonst gewesen. Erst einmal ein Versuch, die Tür erneut zu verriegeln, um die Quelle des Chaos' zu verstopfen.
"Wo ist der Handfeger?"
Den Hilferuf kann ja eigentlich keiner hören, denn alle lassen sich oben Wind und Gischt um die Nase wehen, doch siehe da: Die nächste Bö befördert aus dem nächsten Schapp ein Paket Brot aus dem Fach in den davor stehenden Abfalleimer. Für das zweite Paket ist der Abfalleimer schon zu weit weg; es landet mit diversen Brettchen auf dem Boden und ... der gesuchte Handfeger mit Kehrblech fliegt hinterher. "Danke für die Suchhilfe, liebe Aagtje!"
Ein freundliches Gesicht grinst durch das Fenster des Bullauges: Es ist Susanne, die Skipperin, die das Scheppern mit ihren geübten Ohren bis nach draußen vernommen hat. Mein Daumen hoch - ihr Daumen hoch: alles im Griff. Sie kennt das Problem, und eine neue Küche mit besseren Verschlüssen ist schon in Planung.
Nach einer Viertelstunde sind alle fliegenden Untertassen und was sich noch die Freiheit dazu genommen hat, wieder zusammengesucht und an Ort und Stelle. Ein Tampen verriegelt nach der Aufräumarbeit dauerhaft die Schranktüren.

Besuch von oben kommt. "Mensch, hast du es hier ja schön warm!"
Die Stimmung steigt schnell an. "Welches Lied singen wir jetzt, wenn wir raufgehen?" 'Matrosen machen müde Mädchen munter'?" fragt D.
"Au-ja! Bei Windstärke sieben eine Polonai-ai-ai-se nach Blankene-e-e-se den Niedergang rauf, einmal übers Vorschiff, beim Skipper vorbei - ihm sei Dank für den sicheren, aber verdammt feuchten Kreuzkurs! - und wieder in den Salon."
Ok also: Rettungswesten wieder über und los!
Nunja - kann man ja verstehen, das wird nichts mit der Polonaise, denn mit Händen auf den Schultern rutschen wir haltlos durch den Salon.
"Es trinken die Matro-o-o-sen von allen Spirituo-o-o-sen am liebsten RUM fallera - RUM fallera - Rum aus Jamai-ai-a-ka!"

 
Draußen ist Sauwetter
Draußen ist Sauwetter  

 
"Was hilft am besten gegen Seekrankheit?" will B. wissen. "Vorbeugen." gibt M. Auskunft. "Vorbeugen über die Reling, aber nach Lee!" D. probiert es aus, aber nach Lee schafft er es nicht mehr, die Fische in Luv freuen sich, nachdem die nächste Welle den Rest der Seekrankheit abgespült hat.

 
Es regnet und regnet ...
Es regnet und regnet ...  

 
Anlegen in Harlingen
 
Es regnet und regnet und ...
Die Fock hat vom Starkwind etwas mitbekommen: ein armlanger Riss am Achterliek wird einfach zu reparieren sein, aber das Ding muss erst einmal abgeschlagen werden. Mann, sitzen die Verschlüsse der Stagreiter aber fest! Balancieren auf Bugkorb und Ankerwinde mit der angebundenen Installationszange in der Hand.
Es regnet und regnet und ...
B. trotzt Wind und Regen und unterstützt das Manöver, sonst hätte sich bestimmt ein Stagreiter im Hafenbecken selbst versenkt.
Die klatschnasse Fock wird notdürftig 'gewurstet' und mit vielen Händen über zwei Nachbarlieger gewuchtet, denn sie muss schnell ordentlich zusammengelegt und mit dem Auto von Diederik zum Segelmacher transportiert werden.
Auch unser Gepäck muss über die zwei Plattbodenschiffe gewuchtet werden. Eingespieltes Team - lange Kette - fertig! Susanne und Diederik freuen sich sehr über ein schönes Trinkgeld für die abwechslungs- und erlebnisreichen Tage, in denen sie uns sicher über die Waddenzee geschippert haben. Danke euch beiden!

Wir fahren ganz gemütlich nach Deutschland, so gemütlich wie die letzten Tage. In Hardewijk machen wir eine kleine Pause; so ein typischer holländischer Imbiss so mit Pommes usw. wird doch wohl zu finden sein?!
"Willst du dir nicht was überziehen, es regnet doch."
"Äh - ja? - Tatsächlich!"

Mast- und Schotbruch!
Reinhard Kindla

 

 
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